Das Gashahn-Trilemma: Bringt die politische Zeitenwende Rationierung & Verstaatlichung? Ein Szenario-Thread. A. Lage: Was ist der Ausnahmezustand, und was ist, wenn er Jahre dauert? B. Staatliche Handlungsmöglichkeiten C. Das Gashahn-Trilemma: Anstehende Zwickmühlen 1/27


A. Lage Also, zunächst: Gas wird teurer. Und zwar in einer Größenordnung, die die gesamte Wirtschaft erfasst. Bei normalen Gaspreisen haben wir unter 1% unserer Volkswirtschaft für den Gaserwerb eingesetzt, bei 300€ sind das 8,4%. Sehr viel.


Aber es muss nicht bei 300€ bleiben. Es kann weniger werden - aber auch mehr. Wir können getrost davon ausgehen, dass das Ziel der russischen Regierung Gaspreise jenseits der 1.000€ sein dürften. Hier Medwedjew im Februar mit einer 2.000€-Prognose.


Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern auch andere Länder. Die Citi-Group rechnet für Januar 2023 mit einer Inflation von 18,6% in Großbritannien. Bei uns bestimmt etwas weniger - aber selbst 10% heißt, dass wir alle 10% ärmer werden.


Ich glaube, dass wir nicht bei einer Inflation von knapp 9% in der Eurozone bleiben werden. Insbesondere dann nicht, wenn die Energiekosten weiter steigen. Und damit müssen alle rechnen - auch und gerade Unternehmen. 5/27


Die Wirkung zeigt sich bereits jetzt schon: Unternehmen bestellen weniger bei ihren Zulieferern, und das in einer Größenordnung, die wir nur aus Rezessionen kennen. Die Rezession kommt.


Wie lange bleiben wir in dieser Lage? Der französische Präsident Macron erklärt bereits "das Ende des Überflusses". Was er nicht erklärt hat, ist "EIN Winter des Mangels". Nein, "das Ende des Überflusses" klingt nach einer längeren Periode.


Der belgische Ministerpräsident de Croo wird etwas präziser: Er spricht von "5 bis 10 harten Wintern". Fünf bis zehn Jahre - das ist eine lange Zeit, in der die Volkswirtschaft als Ganzes unter Druck gerät.

brusselstimes.com/276613/de-croo…


Die aggressive Zinspolitik der US-Notenbank im Vergleich zur Zinspolitik der EZB führt zu einem erstarkenden Dollar. Auf dem Weltmarkt gibt's also für einen Euro weniger Waren - auch weniger Öl, Gas, ect. 9/27


Das bedeutet zweierlei: Unternehmen, denen in einer solchen Lage der Sauerstoff knapp wird, können nicht einfach die Luft anhalten bis es besser wird. Dafür ist die Zeitspanne zu lang. 10/27


Und zweitens wird der Staat nicht alle retten können - erstens, weil die gesamte Volkswirtschaft zu stark leidet. Und zweitens weil die Lage sich dauerhaft ändert. Wer nur mit Staatshilfe dauerhaft am Markt ist, ist nicht am Markt. Aber was können wir tun? 11/27


In diesem Szenario gilt also: 1. Die Rezession kommt 2. Es bleibt viele Jahre schwierig 3. Die Volkswirtschaft kommt an ihr Limit 4. Wir werden alle ärmer Und: 5. Die Situation ist ohne modernes historisches Beispiel. Wir müssen aus unseren Daten neue Schlüsse ziehen. 12/27


B. Wie kann staatliches Handeln aussehen? 1. Unternehmen Private Unternehmen müssen am Markt bestehen können. Wenn Unternehmen dauerhaft defizitär arbeiten und ohne Staatshilfen nicht überleben, sind sie aus der Sicht der Privatwirtschaft nichts mehr wert. 13/27


Die offene politische Frage lautet also: Müssen weite Teile der Energiewirtschaft verstaatlicht werden? Die Entschädigungszahlung für die Übernahme darf dabei sehr, sehr klein sein, denn die Unternehmen sind ja nichts mehr wert. 14/27


Sobald die Unternehmen staatlich sind, sind Förderungen, Verlustausgleiche, Subventionen usw. auch keine Profitfinanzierung privater Akteure mehr, sondern linke Tasche, rechte Tasche in den Staatsfinanzen. 15/27


2. Markt Ab irgendeinem Marktpreis muss klar sein, dass der Markt versagt. Wenn der Marktpreis für Energie einfach immer weiter steigt, dann funktioniert der Preismechanismus offenbar nicht, um die Nachfrage zu dämpfen. Welcher Preis ist der Versage-Preis? CC @bachmannrudi 16/27


Es gibt beim Versagen grob zwei Möglichkeiten: A) Wir belassen es beim Preismechanismus und stützen die, die wenig haben. Dann wird der Preis für alle anderen umso höher steigen, weil die Nachfrage ja nicht sinkt. 17/27


B) Ein anderer Mechanismus zu Verteilung des knappen Guts wird eingeführt: Die Rationierung. In China wird dies bereits aggressiv genutzt, und das bereits letzten Herbst.

theguardian.com/world/2022/aug…


3. Lobby In diesem Szenario wichtig: Wenn der Staat einerseits wahlweise rettet, verstaatlicht oder pleite gehen lässt, und andererseits Ressourcen rationiert, die für Unternehmen bedeutsam sind, entsteht vor allem eines: Lobbydruck für Unternehmen. 19/27


Unternehmen, die ohne ein "Ja" des Staates nicht überleben könnten, werden um dieses "Ja" buhlen. Dabei werden unterschiedliche Lobbygruppen erstmals seit langer Zeit in einem echten Wettbewerb um begrenzte Ressourcen stehen. 20/27


Gerade in Branchen unter Druck wird Lobbyismus zwei Effekte erfahren: Er wird einerseits viel wichtiger für Unternehmen werden, und andererseits viel kreativer. Dieser Wettbewerb wird zu neuen und erfolgreicheren Arten des Lobbyismus führen. @lobbycontrol 21/27


Der Staat wiederum darf sich nicht an der Nase herumführen lassen und muss bei Experten, die von Unternehmen und Industrien abhängig sind, eine gesunde Skepsis zeigen. Echte Experten sind unabhängig, abhängie Experten sind Lobbyisten. CC @BachmannRudi 22/27


Gegen Lobbydruck auf Rettungshilfen gilt: Wenn ein Unternehmen ohne Hilfe des Staats nicht dauerhaft überleben kann, heißt "Rettung", dass der Staat es für wenig Geld übernimmt und ggf. wieder privatisiert, wenn die Marktbedingungen sich ändern. 23/27


Solche Verstaatlichen tragen auch dem unternehmerischen Risiko angemessen Rechnung: Kapitalgeber riskieren eben ihr Kapital. In guten Zeiten für Profit, und in schlechten Zeiten ist es weg. Und der Staat betreibt Strukturen defizitär weiter, wenn sie dem Gemeinwohl dienen. 24/27


C. Worin besteht nun das Gashahn-Trilemma? 1. Inflationsfrage: Gaspreise führen zu Inflation. Die entwertet den Euro. Das führt zu höheren Gaspreisen. Aggressive Zinspolitik der EZB bekämpft Inflation, führt aber zu Rezession. Die führt zu ärmeren Bürgerinnen und Bürgern. 25/27


2. Systemfrage: Der Marktmechanismus führt zu Höchstpreisen, die führen zu Inflation. Rationierungen helfen, aber machen den Staat zum Entscheider, zur Zielscheibe von Unmut und Beeinflussung. Die Entscheidungen werden nicht immer richtig sein. 26/27


3. Verstaatlichungsfrage: Wenn die Krise länger bleibt, bleiben einige Unternehmen dauerhaft unter Wasser. Welche bleiben privat und erhalten Staatshilfen, welche übernimmt der Staat, welche gehen Pleite? Welche private Infrastruktur soll bleiben, welche nicht? 27/27


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