Ich bin ein unromantischer Softwareentwickler und habe erstmals in meinem Leben Muffins gebacken. Ein Thread.


Das Backen und ich haben eine kurze Geschichte: genau ein Kuchen, danach nie wieder, es war ein Desaster. Nun zaubert die Liebste regelmäßig köstlichste Backwaren für mich und ich wollte meinem Dank Ausdruck verleihen.


Es begann mit den Walnussbäumen in unserem Viertel, die ihre Früchte derzeit vornehmlich auf Rad-Wege werfen, schade darum. So sammelte ich einige auf, vom Backen war ich noch weit entfernt, denn: Ich kann es nicht und ich kann es auch nicht leiden.


Es widerstrebt mir zutiefst, es ist das Gegenteil meiner Arbeitsweise, es ist der Antagonist meiner Talente. Fangen wir am Anfang an: Ich hasse Lastenhefte. Ich bin seit 20 Jahren Entwickler und WENN ich mal ein Lastenheft bekommen habe (sehr, sehr selten), war es


die Beschreibung eines Fahrrades, wenn der Kunde eigentlich einen Traktor brauchte. Das wusste der Kunde zu dem Zeitpunkt nur noch nicht, das ergab sich erst im Prozess, iterariv, mit agilen Methoden. Aber dazu später mehr.


Ich hatte nun jedenfalls diese Nüsse. Und ich habe die Frau vermisst. Das Ergebnis der Kombination von Nüssen und Frau war (übrigens völlig unzweideutig), ihr etwas zu backen, zu meiner eigenen Überraschung. Ok, cool. Her mit dem Lastenheft aka Rezept und los geht’s.


Ich habe es direkt bereut. Was bitte ist gesiebtes Mehl? Und wann ist die Butter schaumig? Wann ist der Teig richtig? Ich blickte gestresst auf einen Flickenteppich an Anforderungen und sah mich einen zuckrigen Waterfall-Prozess hinunterstürzen, direkt in die


Neunzigerjahre des Projektmanagements. Ich soll das nun also alles zusammenrühren, in den Ofen schieben und … hoffen? Ich kann so nicht arbeiten. Wie wäre es mit einem schnellen Prototypen, Muffin 0.1.1, um die Anforderungen zu konkretisieren? Ein paar Sprints,


für ein möglichst frühes Feedback im Backprozess / um diesen vernünftig zu unterteilen? Fehlanzeige. Testflights, um die Zielgruppe abzuholen, bevor die Muffins live gehen? Fehlanzeige.


Der gesamte Work Flow ist eigentlich unverantwortlich, wenn man die Muffins in diesem Blindflug an die Wand fährt, muss das gesamte Projekt in die Tonne, alle Ressourcen verbrannt. Und die Qualitätssicherung … tja, nicht vorhanden. In den Ofen rein, aus dem Ofen raus,


da, iss das! Es gibt nur Release oder Mülleimer. Ich verstehe das nicht, es stresst mich. Deine Mudda schlägt die Butter schaumig! Schreib doch gleich „Anforderung: Muffin“ ins Rezept und gut ist’s, das wäre wenigstens ehrlich und ähnlich aussagekräftig.


Womit soll ich die Butter schlagen? Der flachen Hand? Wir haben eine KitchenAid? Ja, wir haben auch Stringtangas, da weiß ich auch nicht, wo hinten und vorne ist. Soll ich damit die Butter schlagen? WelChen VerDammTen Aufsatz soll ich NEHMEN?? Spoiler: Ich habe alle benutzt und


die SCHEISS BUTTER WAR NOCH IMMER in ihrem gewohnten Aggregatzustand. Ich glaube aus Trotz, weil ich sie nicht wie im „Rezept“ angegeben bei Raumtemperatur geschlagen habe. Ja was weiß denn ich, welchen Raum die meinen! Warm genug für die Frau? Flüssige Butter. Warm genug


für mich? Dann schlag ich sie noch im Kühlschrank, diesmal mit der Faust. G E S I E B T E S Mehl, WTF, muss ich dafür auf den nächsten Vollmond warten und irgendwo das Horn eines Zebus vergraben? Während ich noch darüber grübele, woher ich dieses schöne Wort für Buckelrinder


kenne, droht neues Ungemach. „Backofen vorheizen“ … MIT ODER OHNE BLECH?? MITTLERE SCHIENE ODER WAS??? Im Hintergrund rappelt die KitchenAid passiv aggressiv und schmiert den Zeig an der Schüssel entlang, ein verstörendes Graffiti meines Scheiterns. Ist das nun gut? Nicht?


Muss das so? HILFE!! Tja. Dann stopfe ich halt alles in das Rohr und sitze rum, warte auf das finale, unveränderliche Ergebnis. Kein Eingreifen mehr, so geht’s jetzt raus an den Kunden. Also die Frau. Das Backen ist wie das Beten. Man führt Selbstgespräche und wartet darauf,


dass etwas passiert, göttliche Kräfte oder Umluft alles zum Guten wenden. Und während ich da sitze und in den Ofen starre („ca. 25 Minuten“, ALTER WAS HEISST CIRCA IHR WOLLT MICH DOCH VERARSCHEN), denke ich an die Arbeit. Daran, worauf es ankommt. Dass am Ende Herz drinsteckt.


Wahrscheinlich gibt’s kein BPMN-konformes Prozessdiagramm für Muffins und vielleicht denke ich schon viel zu lange auf eine ganz bestimmte Art und Weise, vielleicht ist aber der Weg hier gar nicht das Ziel, vielleicht ist nicht mal das Ergebnis das Ziel.


Vielleicht geht’s einfach darum, dass ich es aus Liebe getan habe, so ultimativ unperfekt, dass es schon kathartisch wirkt. Dann wäre das doch gut, oder?


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